Täglich grüßt das Murmeltier mit der Frage „Warum ist am Ende des Schlafs noch so viel Müdigkeit übrig?“.

Während das Zweibein sich also bei Ertönen des Wecksignals ächzend aus dem Bett hievt, darf Monsieur Hund gemächlich weiterschlummern. Um seine friedvolle Nachtruhe nicht zu stören, verzichtet der dienstbeflissene Halter auf das Hochziehen des Rollos (das Tageslicht könnte durch die geschlossenen behaarten Augenlider dringen und die Tiefschlafphase jäh beenden) und das Öffnen des Fensters (plötzliche Temperaturunterschiede sind Gift für den Schönheitsschlaf). Im Gegenteil, die canine Hochwohlgeborenschaft wird sogar noch gemütlicher unter’s Plumeau gebettet, auf dass keine Sorgenfalten das juvenile Antlitz frühzeitig entstellen.

Selbstredend ist diese scheinbar altruistische Handlung nicht ganz ohne Hintergedanken. Die Idee dahinter ist: „Solange der Hund schläft, kann man sich im Bad ganz in Ruhe alltagsfein machen, ohne sich mit noch von der Anti-Falten-Creme speckig glänzendem Gesicht und dem Glätteisen in der Hand in nietenbesetzten Filzpantoletten den erhobenen Augenbrauen der Nachbarschaft aussetzen zu müssen.“
Neumodisch gesagt eine „Win-Win-Situation“. Doch wer genau, ausser dem Hund versteht sich, gewinnt eigentlich, wenn man selbst immer verliert?
Bei näherer Betrachtung entpuppt sich diese Win-Win-Situation nämlich als eine Win-now-lose-later-Falle.

Langsam vermag die übermüdete Morgenmuffeligkeit der Schönheit des „Endlich ich, Zeit für mich“-Gefühls Platz zu machen, das in der verlockende Aussicht, einmal rechtzeitig und mit Lidstrich auf beiden (!) Augen das Haus verlassen zu können, seinen Ursprung findet.
Aktuelle Zeitesparnis: - 7 Minuten

Der geneigte Hundehalter hat natürlich Verständnis dafür, dass ein „Aufstehen, wir wollen los“ maximal mit einem Ohrenzucken im Halbschlaf quittiert werden kann. Mit nahezu schlechtem Gewissen schleicht man sich im Dunkeln auf Zehenspitzen an, lupft die Federdecke und streift mit möglichst langsamen und fließenden Bewegungen, dabei leise und beruhigend vor sich hin sprechend (man will schließlich kein durch ein jähes Herausreissen aus der Entspannung traumatisiertes Nervenbündel zum Hundepsychologen tragen müssen) das auf dem Heizkörper vorgewärmte Angorapullöverchen gegen die klirrende Kälte in der unwirtlichen Außenwelt über.
Aktuelle Zeitersparnis: -5 Minuten

„Der Windhund ist energiegeladen, flink und wendig“ – JA! Aber nur, wenn es darum geht, sich vor zehn Uhr in der Früh auf seinem Platz im Bett zu behaupten. Jegliche Versuche, ihn aus eben jenem herauszukomplimentieren, schlagen fehl. Es gibt mittlerweile zahlreiche Indizien dafür, dass der Hund bei menschlicher Abwesenheit heimlich an einem Fernstudium der Kynologischen Universität teilnimmt. Bereits nach wenigen Übungslektionen hat er den „Suggestivblick“ mit dem Arbeitstitel „Wenn Du mich weiter so quälst, rufe ich den Tierschutz an“ perfektioniert.
Aktuelle Zeitersparnis: -2 Minuten

Im weiteren Verlauf des Morgens, der Hundehalter hat mittlerweile bereits sein Bürooutfit durchgeschwitzt, verhärten sich die Fronten. Mittlerweile ist man aus der Wohnung heraus und hat mit einiger Verzögerung den Gehweg erreicht. Nach der eilends verrichteten Notdurft wird das letzte Quäntchen Energie aufgewendet, um Richtung Hauseingang zu ziehen.
Aktuelle Zeit“ersparnis“: +3 Minuten

Das hartherzige menschliche Ende der Leine zieht unterdes in Richtung Bushaltestelle, motivierende Lockrufe bleiben unerhört. Der Hund befördert ein weiteres Ass aus dem Ärmel, "Lektion 2.a: Hypochondrie". Mit steifen Gelenken und hängendem Haupte werden testweise zwei Schritte gemacht. Laaangsaaaaam. Dabei wendet der strebsame Hundstudent zusätzlich den „Leidenden Blick von unten mit rot unterlaufenen Augen“ an. Diese Übung nennt sich in Fachkreisen „Das Leiden Christi“. Nachdem in etwa vierzig Sekunden zwei Schritte getan wurden, weist der Hund mit einem abrupten Stehenbleiben nochmals auf sein Elend hin. Derweil fragen sich die Nachbarn zweifelsohne, warum diese unmögliche Person den armen und ganz offensichtlich geriatrischen, arthritischen Hund so unnachgiebig durch den Schnee treibt.
Aktuelle Zeit“ersparnis“: +8 Minuten

Mit hektischen roten Flecken im Gesicht erreicht man schließlich die Bushaltestelle – gerade rechtzeitig, um die Rücklichter des Transportmittels noch von hinten um die Ecke biegen zu sehen. Der nächste kommt bestimmt … irgendwann.
Aktuelle Zeit“ersparnis“: +17 Minuten

Die Katharsis folgt in der anschließenden Busfahrt und gründet vermutlich auf der Vibration des Gefährts. Melodisches Knochengeklapper begleitet den Exorzismus des schlanken Hundeleibes. Kaum an der Ausstiegsstelle angekommen, wird mit energischen Sprüngen der Bus verlassen und elfengleich in Richtung Bahnsteig geschwebt. Vergessen sind vorgetäuschte Arthrose, Dysplasie und Pfotenaufbodenbelag-Unverträglichkeit. Einem Dressurpferdchen gleich gleitet das canine Individuum an der durchhängenden Leine, seinen Kopf dabei vorzüglich auf menschlicher Kniehöhe. Alle paar Meter wird Blickkontakt gesucht, leuchtende dunkelbraune Augen sprechen Bände „Hallo! Guten Morgen! Schaumal – ich bin jetzt waahaaachh! Das Leben ist schön! Guckmal, hier bin ich! Lob mich mal, ich mach das ganz toll!“

Pünkltlich um 9:17 Uhr erscheint man mit 17 Minuten Verspätung im Büro, wo einen die Kollegen gespielt wohlwollend anlächeln und fragen „Na, heute lange ausgeschlafen?“. Während innere Hitzewallungen die getrocknete Schweissschicht wieder auftauen, nimmt der Hund auf seinem angestammten Hundebettchen Platz und wartet darauf, dass ihm das Frühstück kredenzt wird. Mit einem vorwurfsvollen „Du hast mir noch nichtmal guten Morgen gesagt!“ schließen sich die Äuglein wieder und Monsieur Le Chien schläft wieder ein – am offenen Fenster in hellem Licht.

Guten Morgen Welt.



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